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30 Jahre Hauptstadtplanung: Das Gulasch steht im Saft

Im heurigen Jahr wird neben „100 Jahre Niederösterreich" und „100 Jahre Statutarstadt St. Pölten" auch das Jubiläum „30 Jahre Hauptstadtplanung" gefeiert. Peter Bylica, ehemaliger Leiter des Medienservice (2004 – 2009) der Stadt St. Pölten, hat die Geschichte der Entstehung des Regierungsviertels zusammengefasst.

Der Bau des Regierungsviertels. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)
Der Bau des Regierungsviertels in den 90er Jahren. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)
Landeshauptmann-Stellvertreter Ernst Höger, Bürgermeister Willi Gruber mit Gattin Hermi und Landeshauptmann Siegfried Ludwig stießen im Bürgermeisterzimmer auf die klare Entscheidung der Volksbefragung an. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)
Landeshauptmann-Stellvertreter Ernst Höger, Bürgermeister Willi Gruber mit Gattin Hermi und Landeshauptmann Siegfried Ludwig stießen im Bürgermeisterzimmer auf die klare Entscheidung der Volksbefragung an. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)
Fest mit Seebühne im frisch eröffneten Regierungsviertel. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)
Fest mit Seebühne im frisch eröffneten Regierungsviertel. (Foto: Stadtarchiv St. Pölten)

„Die landesweite Entwicklung rund um das Hauptstadtprojekt ist bleibendes Zeugnis dafür, was visionäre raumordnungspolitische Zielvorstellungen bewegen können. In 55 Jahren journalistischen Wirkens war dies wohl die spannendste Aufgabe meiner Laufbahn."

Ein Rückblick von Peter Bylica

Erinnern wir uns: In Wien fühlte sich Niederösterreich eigentlich nur als Untermieter – ohne Identität, ohne Geld. Bürgermeister Helmut Zilk bot zwischen Herrengasse und Bankgasse für den Landtag und die NÖ Landesverwaltung eine Art „Vatikanlösung“ an. NÖ strebte einen finanziellen Ausgleich an. Wien lehnte ab. Die Antwort: „Dann könnts Euch die Vatikanlösung auch behalten…“ Am 15. Februar 1984 trat der damalige Landeshauptmann Mag. Siegfried Ludwig schließlich die Diskussion um eine eigene Landeshauptstadt los.

Zu der Vision gab es anfangs selbst in ÖVP-Reihen große Skepsis. Auch der Koalitionspartner SPÖ signalisierte keineswegs nur Zustimmung. Ludwig und Karl Gruber, damaliger Landtagsabgeordneter und Bruder des roten Bürgermeisters von St. Pölten, liefen sich die Beine wund und warben für die Idee. Mit der Volksbefragung am 1. und 2. März 1986 wurde eine Entwicklung eingeleitet, die mit der größten Übersiedlung eines Bundeslandes endete. Der Slogan dazu: Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft…“

Entscheidung in 30 Minuten

Lediglich 30 Minuten war die Bestellung des Managements für die Hauptstadtplanungsgesellschaft (NÖPLAN) Thema der angesetzten Regierungssitzung. Ludwig erklärte danach: „Die Sache ist durch. Also macht’s mir eine schöne Hauptstadt“. Norbert Steiner, der bis 1987 in München als Stadtplaner tätig war, wurde nach St. Pölten geholt. Er erinnert sich: „Das Schöne war, dass nichts vorgegeben war, kein fixes Programm. So einen Planerauftrag gibt`s nur einmal in einer Generation“. Drei Standorte hatte man anfangs ins Visier genommen. Am Traisenfluss, das Areal vom NÖ Militärkommando und in Stattersdorf vis-a-vis des Lilienhofes.

Priorität wurde eigentlich immer jenen am Traisen-Ufer eingeräumt. Bereits 1989 fand dazu ein zweistufiger internationaler Ideenwettbewerb statt. Zum Planungsstart gab es einmal langwierige Verhandlungen mit den dort angesiedelten Schrebergarten-BesitzerInnen.

Rechtzeitig vor dem Spatenstich waren die „Maulwurf-Historiker“ im Einsatz: ArchäologInnen des Bundesdenkmalamtes legten zehn Meter breite „Suchschlitze“ an, die Entdeckung großartiger Funde zu Steinzeitsiedlungen blieb jedoch aus. Bei den städtebaulichen Überlegungen zum Regierungsviertel stand vor allem die Frage der urbanen Expansion, der Aufwertung der Altstadt von St. Pölten im Vordergrund. Ernst Hoffmanns Entwurf hat dem am besten entsprochen.

„Ihr seid wohl verrückt eine Hauptstadt zu bauen, während in Wien internationale Großprojekte umgesetzt werden. Dies wird die Baupreise gewaltig in die Höhe treiben“, hörte die NÖLAN damals häufig. Die EXPO in Wien kam nicht – und manch anderes Großprojekt in der Bundeshauptstadt platzte ebenfalls. Unverzüglich war er da, der Ruf aus der Wirtschaft: „Wann fangt’s denn endlich an mit der Landeshauptstadt?“

Als DI Norbert Steiner, Dr. Robert Sega und DI Peter Höss die Pläne zum Behördenverfahren einreichten, lag wahrlich eine Meisterleistung hinter ihnen: Mehr als 5.000 Laufmeter Papier mit 550 Grundrissplänen für 16 Häuser, dazu an die 1.000 Seiten Baubeschreibung. Dann lag er vor, der Baubescheid: Sieben Monate nach der Einreichung, fünf Jahre nach dem historischen Hauptstadtbeschluss. Die Planer zollten auch der Stadt Anerkennung: „Mit den früheren St. Pöltner Baudirektoren gab es am Magistrat gute Partner im Behördenverfahren“.

MusikantInnen spielten auf

Der Weg zum denkwürdigen Spatenstich am 13. September 1992 war frei. 15.000 BlasmusikerInnen aus Niederösterreich spielten auf, als der Chronist den „Hauptstadtvater“ zur Mitte des ehemaligen Rennbahn-Stadiums führte. An beiden Händen je zwei Kinder aus den vier Vierteln des Landes, die alle einen Ziegelstein trugen. Als der Spaten das Erdreich aufgrub, schnellten über 1.000 blau-gelbe Ballon-Figuren in die Höhe und flatterten weit sichtbar.

Lange Zeit war das Projekt die Konjunkturlokomotive in Ost-Österreich, und viele Monate die zweitgrößte Baustelle Europas. Die Wertschöpfung überstieg alle Erwartungen, viele der Folgeprojekte waren wichtige Impulsgeber.

Im November 1996 wurde der 1. Bauabschnitt des Landhausviertels schließlich eröffnet, bereits im September übersiedelten dazu die ersten 600 Landesbediensteten von Wien nach St. Pölten. „Als Flop erwies sich allerdings der Landhaus-Boulevard“, meint der Chronist. „Die BeamtInnen nützten die Einkaufsmöglichkeiten nicht wirklich“. Und: „Der Klangturm war anfangs Wahrzeichen und Aussichtsplattform. Ein Kunstwerk mit den drei kugelförmigen ‚Klangboxen‘. Jahre später allerdings legte die Kulturabteilung des Landes dann – angeblich wegen mangelnden Interesses – den Betrieb still“.

Höhepunkt im Juni 1998 war der Papst-Besuch, für den die NÖPLAN die Bühne konzipierte. Peter Bylica: „An alles wurde gedacht. Es gab hinter der Bühne einen Container zum Waschen, Umziehen und Ausruhen. Verbunden mit einem weiteren Container, ausgestattet als Notfall-OP und Landeplatz für den Notarzt-Heli“.

St. Pölten-Werbung weltweit

„Die Aufgabe der NÖPLAN bestand nicht allein aus der Pressebetreuung des Projektes Landhaus & Kulturbezirk. Viel mehr stand die internationale Vermarktung St. Pöltens im Blickfeld, so Bylica. Und er erinnert sich: „Eines Tages stand ich am Bahnhof in Brüssel. Einen St. Pölten-Aufkleber am Koffer. Ein Mann kam auf mich zu und meinte: Die neue Landeshauptstadt in Österreich“. Er war Deutsch-Professor auf der Sorbonne in Paris. „Es hat mich gefreut, dass unsere weltweite Arbeit fruchtete. St. Pölten-Hauptstadt-Ausstellungen wurden von uns in Brüssel, Berlin, Potsdam, Mailand, Göteborg, Luxemburg, Prag und Brünn und auf der MIPIM in Cannes, ja sogar in China und Buenos Aires organisiert. Das Hauptstadt-Maskottchen ‚Pölti‘ erfreute Kinderherzen“.

Aufbruch in neue Kulturwelten

Was war da anfangs gemotzt worden, als man die Pläne für den Kulturbezirk lüftete. Wozu eine Bühne im Hof, wenn es doch schon ein Stadttheater gibt? Ein Festspielhaus ist Größenwahn! Heute geben sich hier österreichische und internationale Künstler die Türklinke in die Hand. „Die Hauptstadtwerdung St. Pöltens ist eine Geschichte der Aufwertung durch ein neues urbanes Stück. Damit wurde der Sprung von einer beliebigen mittelgroßen Stadt zum zentralen Ort eines Bundeslandes eingeleitet”, schrieb die internationale Presse.

Stadtbild mitgeprägt

Seit Beginn der Tätigkeit prägte die NÖPLAN das Stadtbild von St. Pölten mit. „Bühne im Hof“, das Kombi-Projekt Techn. Dienste – heute beherbergt es auch die NÖ Sicherheitsdirektion -, die Landessportschule, die ATP-Tennis-Arena, Wohnbau am Mühlbach. „Wohnbau gegenüber dem Landhaus lag den PlanerInnen immer am Herzen. Die Rainer-Siedlung das Ergebnis! Aber nicht alles konnte realisiert werden“, erinnert sich der Autor. „Dort, wo heute die Alpenland-Zentrale steht, hätten wir gerne ein Medienhaus errichtet. Ein Lieblingsprojekt von mir, mit TV-Studio für P3-TV, bzw. Radio Arabella, NÖ-Redaktionen von Wiener Tageszeitungen und Büros für KorrespondentInnen“. Die Querschüsse kamen vom NÖ-Pressehaus: „Konkurrenz nicht erwünscht!“ Am meisten vermisse ich eigentlich den Traisenpavillon. Der war in vielen Bereichen der Impuls für neue Szene in der Stadt“.

Über den Autor

Peter Bylica startete seine journalistische Laufbahn 1967 bei den St. Pöltner Nachrichten und beim NÖ Bildboten, bevor es ihn 1968 zur Arbeiter Zeitung (AZ) nach Wien verschlug, wo er unter anderem als Chef von Dienst tätig war. Danach wechselte er 1992 als Pressesprecher zur NÖ Landeshauptstadt Planungs GesmbH, um nach einem Intermezzo als „Citymanager“ seine berufliche Tätigkeit als Leiter des Medienservice (2004 – 2009) der Stadt St. Pölten ausklingen ließ.

Fakten

Regierungsviertel (oder auch Landhausviertel)

1986 Nach einer Volksbefragung wird St. Pölten zur Landeshauptstadt von Niederösterreich.
1992 Es erfolgt der Spatenstich unter Landeshauptmann Siegfried Ludwig.
1997 Nach Fertigstellung der meisten Bauteile konnte gesamte Landesverwaltung an die Traisen übersiedeln.
1998 Der Kulturbezirk mit Klangturm, Festspielhaus und Museum Niederösterreich wurden fertiggestellt.

Die schlanke Verwaltungsstadt  

Der Masterplan stp*25|50 stellt die Bürger/innen und Konsenswerber ins Zentrum: Das beginnt im Mindset und geht über die Optimierung und Digitalisierung behördlicher Abläufe hin zum Verfahrensexpress. (mehr dazu)