Abseits des Domplatzes wurden im vergangenen Jahr wieder zahlreiche archäologische Maßnahmen im gesamten Stadtgebiet als gesetzlich notwendige Voraussetzung für geplante Bauvorhaben durchgeführt. Das Team um den Stadtarchäologen Dr. Ronald Risy zieht eine überaus positive Bilanz.
Tagung, Ausstellung und Vitrinen
Abseits der archäologischen Grabungen ist es gelungen, die alle zwei Jahre stattfindende internationale Tagung der Gesellschaft für Mittelalterarchäologie in Österreich mit dem Thema „Leben mit dem Tod. Der Umgang mit Sterblichkeit im Mittelalter und Neuzeit“ nach St. Pölten zu bringen. Die Tagung wurde vom Stadtmuseum mitorganisiert und war mit mehr als 100 Teilnehmern sehr erfolgreich. Jedenfalls konnten die archäologischen Grabungen in St. Pölten einem internationalen Publikum präsentiert werden.
Zusätzlich wurde im Stadtmuseum eine Sonderausstellung mit dem Titel „Verstorben, begraben und vergessen? St. Pöltner Friedhöfe erzählen“ am 11. September eröffnet, die noch bis 3. November 2019 zu besichtigen ist und ebenfalls den Kommentaren im Gästebuch und persönlichen Reaktionen der Besucher nach zu beurteilen, äußerst positive Resonanz findet.
Gemeinsam mit Doris Zichtl (no-mad-designers), Georg Bergner (Bergnerdesign), Ursula Egger (Restauratorin) und Silvia Zenz (Stadtarchäologie) wurden im Auftrag der Bauherrn jeweils eine Vitrinenwand in einem Gebäude in der Schneckgasse und in der Bezirkshauptmannschaft konzipiert und 2018 fertiggestellt. Anhand von Plänen und Fotos von der Grabung wird die Geschichte des jeweiligen Grundstückes von der Römerzeit bis heute verständlich dargestellt, ergänzt durch eine kleine Auswahl der schönsten Funde. Diese Beispiele zeigen einmal mehr, dass trotz finanzieller Belastung durch eine fachmännische Betreuung Interesse und Begeisterung für die Archäologie geweckt werden kann. Neben den Vitrinen im Stiegenhaus des Rathauses, im Haus Wiener Straße 12, in der Oberbank und in der Lederergasse liegen nun mit jener in der Schneckgasse und der Bezirkshauptmannschaft zwei weitere Standorte vor, an dem man einen kleinen Einblick in die Geschichte der Stadt erhaschen kann.
Betriebsgebiet Ratzersdorf
Im Zuge der geplanten Erweiterung des Betriebsgebietes Ratzersdorf wurde im Auftrag des Wirtschaftsservice der Stadt St. Pölten (ecopoint) zunächst die ca. 4 ha große Fläche geophysikalisch untersucht, um einen ersten Aufschluss über die mögliche Dichte der Fundstelle zu erhalten. Auf Basis des Messergebnisses wurde ein Konzept für die weitere Vorgehensweise erarbeitet. Mit den Arbeiten wurde die Fa. ARDIG, St. Pölten beauftragt. Am 12. November begann mit dem maschinellen Abhub der Humusschicht die Grabung im nördlichen Bereich. Es zeigte sich, dass die Befundlage wesentlich dichter ist, als durch die Magnetik angezeigt war. Die Arbeiten wurden über dem Winter weiterfortgesetzt.
Der Großteil der mehr als 630 Befunde ist in das beginnende Endneolithikum (3500 – 3000 v. Chr.) zu datieren und einer Siedlungsstelle zuzuordnen. Sechs Hausgrundrisse wurden entdeckt. Auch drei Einzelgräber (jungneolithisches Brandgrab; eine früh- und eine mttelbronzezeitliche Bestattung) konnten bisher freigelegt werden. Vereinzelt sind der Bronzezeit zuzuordnende Grubenobjekte zu Tage gekommen. Das bisher geborgene Fundmaterial besteht vor allem aus großen Mengen Keramik, Hüttenlehmstücken, Tierknochen, Knochengeräten und vereinzelte Silices.
Magnetik Pottenbrunn
Auch in Pottenbrunn wurde im Vorfeld der geplanten Verbauung auf einem Teilstück der Parzelle 1572 eine geophysikalische Prospektion mit Hilfe der Magnetik durch die Firma. ARDIG durchgeführt. Ziel der Untersuchung war es, festzustellen, ob das Areal noch innerhalb einer archäologischen Fundzone liegt oder nicht. Da das Ergebnis negativ war, konnte das Grundstück zur Bebauung freigegeben werden.
Künetten
Mehrere baubegleitende Beobachtungen im Zuge diverser Leitungsverlegungen wurden vom Team der Stadtarchäologie durchgeführt. Die dabei erzielten Erkenntnisse helfen bei der Beurteilung zukünftiger Bauvorhaben.
Unter den fünf durchgeführten Baubegleitungen ist die in der Gerichtsfeldgasse in Ratzersdorf zu erwähnen, wo im letzten projektierten Straßenstück (Verbindung zum Betriebsgebiet), die Kanalisation verlegt wurde. Hier kamen einige wenige Grubenverfüllung und Pfostensetzungen zu Tage, die aufgrund der Keramik in die 2. Hälfte des 4. Jahrtausends vor Christus zu datieren sind und die nordöstlichen Ausläufer der bereits erwähnten ausgedehnten endneolithischen Siedlung bilden.
Voruntersuchung Europaplatz
Im Zuge der Planungen für den Umbau des Kreisverkehrs am Europaplatz wurden im Dezember in Absprache mit der Landesstraßenverwaltung und dem Magistrat St. Pölten zwei Suchschnitte in den Grüninseln maschinell ausgehoben. Im Bereich des heutigen Kreisverkehrs lagen der ehemalige Barbarafriedhof mit der Barbarakapelle, sowie ein römisches Gräberfeld. Ziel der Untersuchung war es, im Vorfeld einen ersten Hinweis über den möglichen Umfang der archäologischen Arbeiten zu erhalten und die Erkenntnisse in die Planungen für den Umbau einzuarbeiten. In den beiden Schnitten waren bis auf einem Meter Tiefe keine relevanten Schichten zu erkennen.
Linzer Tor römisches Gräberfeld
Bedingt durch einen Eigentümerwechsel und einer damit verbundenen Bauplanänderung musste im Jänner durch die Fa. ARDIG, St. Pölten eine Nachuntersuchung im Bereich der ehemaligen Maderna-Villa (Linzer Tor) durchgeführt werden. Es konnten insgesamt neun Brandgräber und drei Körpergräber des bekannten römischen Gräberfeldes freigelegt und dokumentiert werden.
Karmeliterhof
Unglaublich und unvorhersehbar war und ist die Befunddichte am Karmeliterhofareal an der Rückseite des Stadtmuseums, über die im letzten Jahr mehrfach informiert wurde. Bis Ende des Jahres 2018 wurden 5801 Befunde von der Firma ARDIG dokumentiert, die wichtige Erkenntnisse zur Stadtgeschichte von der Römerzeit bis in die Neuzeit erbrachten.
Es wurde ein weiterer, bisher unbekannter römerzeitlicher Straßenzug entdeckt. An diesem lagen an seiner Ostseite große Häuser mit einer an ihrer Ostseite vorgelagerten Portikus und möglichem Garten oder Hofareal im Westen. Die Wände besaßen zum Teil steinerne Sockel, das Aufgehende wurde in Rutenputztechnik errichtet. Im Süden der Untersuchungsfläche konnten an der Westseite der erwähnten Straße die Schotterfundamente zweier offenbar einräumiger Gebäude freigelegt werden, deren Funktion noch nicht geklärt ist.
Dieser Straßenzug wurde offenbar in der Spätantike wieder aufgegeben und mitten durch die erwähnten großen Häuser ein mächtiger Graben angelegt, der als Befestigungsgraben bezeichnet werden kann. In seiner Verfüllung befanden sich weit über 100 spätantike Münzen. 14 spätantik/völkerwanderungszeitliche Körpergräber und eine Pferdebestattung eines unbekannten Gräberfeldes wurden nach Aufgabe des großen Grabens angelegt.
Zahlreiche Brunnen, Gruben, Pfostenstellungen sind dem Hoch- bis Spätmittelalter zuzuordnen und liegen im wirtschaftlich genutzten Teil streifenförmiger Parzellen. Die zugehörigen Wohnhäuser lagen wahrscheinlich im vorderen Bereich der Parzellen an der Prandtauerstraße.
An der Verlängerung des heutigen Rossmarktes lag ein spätmittelalterliches/frühneuzeitliches Haus, das zur Gänze dokumentiert werden konnte. Bemerkenswert ist insbesondere der Umfang an geborgenem Fundmaterial, welcher auch auf die handwerkliche Nutzung des Areals zurückzuführen ist. Allein aus 2017 stammen 107 Kisten Fundmaterial; im Jahr 2018 kamen weitere 129 Fundkisten hinzu, der Großteil beinhaltet keramische Funde. Bemerkenswert auch mit 613 die Anzahl der im Jahr 2018 gefundenen Münzen.
Prandtauerstraße
Die Stadtarchäologie war von Anfang an in die Planungen für die Verlegung neuer Leitungen miteinbezogen, was sich sehr bewährt hat. Die Dichte mit 402 Einzelbefunden war sehr hoch und die Ergebnisse spektakulär. Neben einem von Osten nach Westen verlaufenden römischen Straßenzug wurden allein 27 römische Mauerabschnitte erfasst, die fünf, vielleicht sechs Häusern zuzuordnen sind. Fast bei allen konnten mehrere Umbauphasen nachgewiesen werden. Ein Teil der Räume war mit Fußbodenheizung ausgestattet. Soweit man aus dem kleinen Abschnitt beurteilen kann, handelt es sich um Streifenhäuser. In einem eindeutig als Innenhof oder Garten zu bezeichneten Bereich wurde ein Töpferofen entdeckt. Die in der Verfüllung des Ofens geborgenen zahlreichen Fragmente von Faltenbechern wurden wahrscheinlich in dieser oder einer benachbarten Werkstatt hergestellt. Unter den ca. 25 Kartons umfassenden Fundmaterial sind auch 17 Münzen und 19 Kleinfunde, darunter zahlreiche vollständig erhaltene Fibeln.
Eine große Grube, vielleicht ein Keller oder ein Grubenhaus ist in das Mittelalter zu datieren. Diese spielt eine große Rolle hinsichtlich der Frage, wann die heutige Prandtauerstraße als Straße angelegt wurde. Bisher ging man davon aus, dass dies im Zuge der Errichtung des großen Marktplatzes (Rathausplatz), des „Breiten Marktes“ um 1200 erfolgt sei.
Linzer Straße 3-5
Die archäologische Untersuchung dieses Grundstücks hat mit den ersten baubegleitenden Sicherungsarbeiten ab Juli 2018 begonnen. Die eigentliche Grabung startete am 9. Oktober und konnte am 15. März 2019 von der Firma ARDIG zeitgerecht abgeschlossen werden. In zwei Bereichen war es aus sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich, händisch auf die verlangte Bautiefe zu gehen. Hier wurde vereinbart, dass man diese Bereiche dann baubegleitend maschinell noch fertig dokumentiert.
Im Gegensatz zu anderen Grundstücken in der Innenstadt dürfte 1950 im Zuge der Neuerrichtung des ehemaligen Preßhauses schon massiv in den Boden eingegriffen worden sein. Es haben sich daher vor allem Grubenbefunde quer durch alle Zeiten und nur noch die letzten Reste der Schotterfundamente von ehemals römischen Wohnbauten erhalten.
Unter den zahlreichen römerzeitlichen Gruben sind zwei römische Brunnen mit noch erhaltenen hölzernen Brunnenkasten zu erwähnen. Aus den Verfüllungen der Gruben konnte sehr schönes Fundmaterial geborgen werden, unter anderem eine ganz erhaltene Terra-Sigillata Schüssel und eine Reibschüssel. Am bemerkenswertesten sind 49 römische Bleietiketten, großteils beschriftet. Die oft nur schwer lesbaren, eingeritzten Zeichen enthalten Personennamen, Zahlzeichen und manchmal auch Notizen, die in erster Linie im Zusammenhang mit dem Textilgewerbe zu sehen sind. Weitere große Grubenbefunde stammen aus dem Hoch- und Spätmittelalter, sowie der Neuzeit.
Ausblick Domplatz 2019
Die Arbeiten am Domplatz haben bereits begonnen. Die Baustelle ist eingerichtet, der maschinelle Abtrag ist erfolgt und die Aussichtsplattform ist wieder geöffnet. Die reguläre Grabung ist in den ersten beiden Teilflächen in vollem Gange. Im Sommer soll der Bereich vor dem Domeingang folgen, hier wird noch der genaue Zeitplan mit der Diözese abgestimmt. Ebenso bedarf es noch der genauen Abstimmung zwischen der Diözese und dem Projektmanagement der Baustelle Herrengasse/Domgasse bezüglich der Nordwestecke des Platzes im Bereich des vorher hier gestandenen Kebap-Standes. Zielvorgabe ist es, die Grabungen am Domplatz heuer noch zu einem Ende zu bringen.
Bilanz der Archäologischen Grabungen 2018
„Mit 14 archäologischen Maßnahmen war 2018 wieder ein sehr intensives Grabungsjahr, vor allem, weil sich darunter auch einige großflächige Untersuchungen abseits des Domplatzes befanden. Ein Zeichen des weiterhin anhaltenden Baubooms in dieser Stadt“, erklärt Bürgermeister Mag. Matthias Stadler. Das Spektrum reichte wie immer von Künettenbeobachtungen bis hin zu richtigen archäologischen Grabungen im Vorfeld verschiedener Bauvorhaben. Erstmals wurde auch Geophysik eingesetzt. Alle Maßnahmen standen unter der Leitung von Dr. Ronald Risy und wurden entweder von einer Grabungsfirma oder dem Team der Stadtarchäologie durchgeführt.
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