Heute wird’s ein etwas anderer Spaziergang werden, ein besinnlicher. Die Abende sind lang, Weihnachten steht vor der Tür, und die Wenigsten von uns nehmen sich noch die Zeit, öfter mal Inne zu halten, und auch ein wenig staunen zu dürfen.
Ich starte beim Rathaus, es ist schon finster, die Rathausuhr zeigt 17 Uhr, und ich schlendere über den Weihnachtsmarkt in Richtung Franziskaner-Kirche. Die vielen unterschiedlichen Hütten sind heimelig beleuchtet, Menschen stehen in kleinen Gruppen beisammen, wärmende Getränke in den Händen, immer wieder flitzen ein paar Kinder laut kichernd an mir vorbei, zwei Mal, drei Mal, immer im Kreis um die Dreifaltigkeitssäule und den festlich beleuchteten Weihnachtsbaum herum. Ich bleibe stehen, gehe ein paar Schritte zurück, stelle mich vor den Baum, und lege den Kopf in den Nacken. Ein paar Minuten lang stehe ich nur so da, mache nichts anderes, als den Baum, die Lichter, die Gerüche und Geräusche um mich herum wahrzunehmen, das helle, immer wiederkehrende Kinderlachen. Und mit einem Mal legt sich dann ein sanftes Lächeln auf meine Lippen, und es macht sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch breit, obwohl das Wetter nass-kalt ist, und ein eisiger Wind weht.
Meine Schritte führen mich weiter Richtung Norden zur Brunngasse, über den Bahnhofsplatz bis hin zum Sparkassenpark. Der Schotter unter meinen Füßen knirscht bei jedem Schritt, mein Atem ist hell in der kalten Luft zu sehen, während der Park sanft von den Laternen in goldgelbes Licht getaucht wird. Über mir tanzt der Wind mit den Blättern der mächtigen Buchen, ein beständiges an- und abschwellendes Rauschen begleitet mich. Auf einer Bank sitzen ein paar Jugendliche, eifrig diskutierend und mit ihren Handys beschäftigt, sie nehmen im Vorbeigehen kaum Notiz von mir. Wieder bleibe ich kurz stehen, schließe meine Augen, atme; höre; fühle. Es ist ein bisschen so, als wäre man auf einmal in einer völlig anderen Welt, nachdem unmittelbar zuvor auf dem Rathausplatz noch so reges Treiben geherrscht hatte. Dabei habe ich doch gerade erst einmal fünf Minuten Fußmarsch hinter mir.
Als Kind bin ich vor Weihnachten immer mit meinem Großvater hierher in den Park gekommen, wenn ich (behauptete zumindest mein Großvater, dass es um mich gegangen wäre) meiner Großmutter mal wieder zu viel geworden bin, und sie eine Stunde lang ihre Ruhe haben wollte. Es sind schöne Erinnerungen an eine ruhige, an eine friedvolle Zeit. Bei all der Hektik, die uns in der Vorweihnachtszeit begleitet, weil nun wir die Erwachsenen sind, die sich um alles kümmern müssen, und nicht mehr nur in heller Vorfreude und voller Ungeduld die Tage bis zum Heiligen Abend herunterzählen können, scheint es mir umso wichtiger, trotz allem, was im Alltag und der herausfordernden Zeit, in der wir leben, so anstrengend ist, nicht die Fähigkeit zu verlieren, die Welt – und sei es nur für ein paar wenige Sekunden – auch wieder durch Kinderaugen zu sehen. Als die Lichter eines Weihnachtsmarktes noch wie ein ganzes Meer aus Feen und Irrlichtern wirkten, der geschmückte Baum auf dem Hauptplatz so mächtig und hoch in den Himmel ragte, dass es bestimmt – und zwar wirklich ganz bestimmt! – nirgendwo auf der Welt einen noch höheren Weihnachtsbaum geben konnte, und jeder Tag, den wir näher an Weihnachten kamen, eine Verheißung war.
Ich gehe zurück über die Mühlbach-Brücke, lausche ein wenig dem Geräusch des beständig unter mir fließenden, dunklen und silber-schimmernden Wassers, lasse den Bischofsteich und die Dom-Höfe hinter mir, laufe quer über den weiten Domplatz und vorbei am märchenhaft beleuchteten Dom, und finde mich schließlich auf dem Herrenplatz wieder. Auch hier sind die Bäume mit verzaubernden Lichtern dekoriert, ein paar Menschen stehen beim Maroni-Stand vor der Alten Post, unterhalten sich angeregt, während sie ihre knusprig braun gebratenen Früchte aufknacken. Gleich gegenüber, beim Café Schubert, halten einige Gäste Tee, oder Punsch, oder Glühwein in dampfenden Tassen in ihren Händen, um sich zu wärmen, immer wieder dringt ein Lachen zu mir herüber.
Es ist ein schönes Gefühl, hier, in diesem Moment, hier, an diesem Abend, hier, in meinem St. Pölten. Und ich bin sehr dankbar für dieses Gefühl, denke an meine Großeltern, denke an all die Kinder, die gerade dem Weihnachtsabend entgegenfiebern, und an alle Eltern, die dort draußen ihr Bestes geben, um dieses Fest auch dieses Jahr wieder zu etwas ganz Besonderem zu machen.
Und damit wünsche ich Ihnen allen von ganzem Herzen eine wunderschöne Weihnachtszeit in St. Pölten, und ein gesegnetes und glückliches Fest!
Euer Philipp Gravenbach