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Experten empfehlen Änderung der Stellplatzverordnung

Die Stellplatzverordnung schreibt vor, wie viele Parkplätze bei der Errichtung von Wohnbauten und Geschäften gebaut werden müssen. Viele dieser Verordnungen gehen zurück auf die Reichsgaragenverordnung aus NS-Zeiten, wo eine Förderung des Autos noch an erster Stelle stand. In Zeiten des Klima- und Mobilitätswandels sind allerdings weder die Inhalte solcher Verordnungen noch die Förderphilosophie des motorisierten Individualverkehrs zeitgemäß.

Foto: Fotos: Sybille Dremel
Die Experten für Raumplanung an der TU Wien DDI Kurt Weninger und Prof. Dr. Arthur Kanonier empfehlen den Kommunen einen Änderung des der Stellplatzverordnung. - Foto: Fotos: Sybille Dremel

St. Pölten Konkret: Wozu dient eine Stellplatzverordnung und welchen Lenkungseffekt soll sie bringen?
Kanonier: Eine Stellplatzverordnung regelt das Ausmaß und gegebenenfalls auch die Art von Stellplätzen, die bei der Errichtung, Umbau oder Nutzungsänderungen von Gebäuden, zu errichten sind. Dabei wird in der Regel nach unterschiedlichen Nutzungen unterschieden, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Der Lenkungseffekt besteht zum einen darin, sicherzustellen, dass ausreichend Stellplätze vorhanden sind, um den Bedarf zu decken – so sollen z.B. BesucherInnen von Freizeitanlagen auch die Möglichkeit haben, bei ihr Auto dort abzustellen, wenn sie mit diesem angereist sind. Zum anderen soll in einer solchen Verordnung auch sichergestellt werden, dass die Vorgaben dem Bedarf auch entsprechen.

St. Pölten Konkret: Wer kann die Stellplatzverordnung erlassen und welche übergeordneten Gesetzesgrundlagen gibt es dafür?
Weninger: In der NÖ Bauordnung ist festgelegt, dass die NÖ Landesregierung die Mindestanzahl an Stellplätzen für bestimmte vorgegebene Bauwerke (z.B. Wohngebäude, Schulen, Industrie- und Gewerbebetriebe usw.) per Verordnung festzulegen hat - was durch die Erlassung der NÖ Bautechnikverordnung auch erfolgt ist. In der Verordnung wurden für unterschiedliche Nutzungen Mindestwerte vorgegeben, die von den Gemeinden im Rahmen der Vollziehung der Bauordnung anzuwenden sind.
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber auch die Notwendigkeit erkannt, dass in Gemeinden auch das Erfordernis bestehen kann, diese Vorgaben abzuändern – daher wurde den Gemeinden eine solche Abänderungsermächtigung im Gesetz eingeräumt. Es ist nachvollziehbar, dass nicht in allen Gemeinden Niederösterreichs genau die gleichen Rahmenbedingungen und örtlichen Gegebenheiten vorliegen, daher haben auch viele Gemeinden von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dies kann im Rahmen der Festlegung von (Teil-)Bebauungsplänen oder aber durch Erlass einer eigenen Verordnung erfolgen.

St. Pölten Konkret: In welchen Bereich soll die Verordnung geändert werden, in der gesamten Stadt, oder nur im Zentrum?
Kanonier: Eine Abänderung der Werte soll nach Abwägung der örtlichen Erfordernisse erfolgen, insofern ist es sinnvoll, sich ein Konzept für das gesamte Stadtgebiet zu überlegen, da die räumlichen Gegebenheiten auch innerhalb des Stadtgebiets unterschiedlich sein können. Dementsprechend kann das Konzept dann auch für das gesamte Stadtgebiet verordnet werden. Dies hat auch zur Folge, dass dann nur eine Verordnung anzuwenden ist und nicht weitere für jene Teile des Stadtgebiets, für die Sonderregelungen gelten sollen.

St. Pölten Konkret: Welche Vorteile bringt eine Änderung mit sich?Weninger: Hier kann und muss man mehrere Aspekte berücksichtigen. Viele ExpertInnen sind sich einig, dass Stellplätze eine wichtige Stellschraube zur Steuerung des Verkehrs insgesamt sind. Eine Reduktion des Verkehrsaufkommens ist ein wichtiges Ziel zur Erreichung der Klima- und Energieziele, zu denen sich Österreich (bzw. auch Niederösterreich) verpflichtet hat. Die Bereitstellung von Stellplätzen kann – wenn ein zu hohes Angebot vorhanden ist –zu einem Mehr an Autoverkehr führen. Die Errichtung von Stellplätzen benötigt außerdem wertvolle Flächen und stellt einen nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor dar, der vor dem Hintergrund der Frage nach leistbarem Wohnraum unbedingt zu berücksichtigen ist. Im schlimmsten Fall kann das – vor allem in dicht besiedelten Gebieten vor allem im Zentrum – dazu führen, dass Nachverdichtung, Innenentwicklung aber auch die Umnutzung bestehender Gebäude erschwert wird oder gänzlich unmöglich wird.
Eine räumlich differenzierte Vorgabe der Stellplatzanzahl kann den örtlichen Gegebenheiten besser Rechnung tragen und dementsprechend zur Nutzung der Vorteile aber auch zur Vermeidung der Nachteile beitragen.

St. Pölten Konkret: An welche Kriterien könnte ein neuer Stellplatzschlüssel gebunden werden und welche Werte für den Stellplatzschlüssel würden sie empfehlen?
Kanonier: Die Festlegung – insbesondere von Mindestwerten – soll sich am jeweiligen Bedarf orientieren, nur jene Stellplätze die auch benötigt werden, sollen auch errichtet werden müssen – nicht zuletzt ist die Errichtung von Stellplätzen auch ein Kostenfaktor. Im Rahmen der Analyse hat sich gezeigt, dass es zum Teil große Unterschiede im Bedarf gibt, je nachdem, ob sich ein Gebäude im dichteren Ortszentrum oder am Siedlungsrand befindet. Weiter ist es wesentlich, ob eine gute Anbindung an den ÖV besteht, die Art der Gebäude (Einfamilienhaus bzw. Geschoßwohnbau) und nicht zuletzt haben auch die vorhandene Rad- und Fuß-Infrastruktur Einfluss auf den Bedarf. Um als Basis für eine Verordnung zu dienen, sollen solche Kriterien natürlich möglichst messbar und nachvollziehbar sein.
Durch die Einführung der „ÖV-Güteklassen“, die österreichweit einheitlich ermittelt werden, ist die ÖV-Anbindung ein besonders gutes Kriterium. In Niederösterreich stellen auch die Zentrumszonen, die nach den Vorgaben des NÖ Raumordnungsgesetzes von den Gemeinden festgelegt werden können, ein gutes Kriterium dar, da bei ihrer Festlegung bereits auch für den Stellplatzbedarf relevante Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Daher wurde auch empfohlen, ÖV-Güte und Zentrumszone als Kriterien bei der Festlegung von Stellplatzschlüsseln festzulegen.
Bezüglich der Werte zeigt ein Blick in andere Länder, dass zum Teil sehr progressive Werte gewählt wurden. Im Extremfall wurden Werte von 0,1-0,2 je 100m2 Brutto-Geschoßfläche in Altstadtkernen vorgeschlagen (hier ist die Errichtung von Stellplätzen nachvollziehbar außerordentlich schwierig). In Basel wurde z.B. überhaupt von der Vorschreibung einer Stellplatzmindestzahl abgesehen. Bereits die Basiswerte liegen in NÖ deutlich höher – zum Teil über jenen der NÖ Bautechnikverordnung. Vor dem Hintergrund der zu erreichenden Ziele war der ambitionierte Vorschlag diese zu unterschreiten. Die wichtigste Empfehlung war aber die räumliche Differenzierung.

St. Pölten Konkret: Wenn nun weniger Parkplätze errichtet werden müssen, erhöht sich dadurch nicht der Parkdruck im öffentlichen Raum?
Weninger: Diese Frage zielt wohl auf die Bedenken ab, dass durch eine Reduktion der Stellplatzvorgaben zu wenige Stellplätze errichtet werden. Bei geeigneter Anpassung werden aber nur die ohnehin nicht benötigten Stellplätze wegfallen. Bereits jetzt zeigt sich, dass die aufgrund von Stellplatzvorgaben errichteten Stellplätze, in dichter besiedelten Bereichen mit gutem ÖV-Angebot (vor allem im städtischen Bereich) zum Teil gar nicht nachgefragt werden. Oft müssen diese aber mitgemietet oder – gekauft werden, was den Wohnraum entsprechend verteuert. Andere Beispiele zeigen, dass KFZ-Besitzer ihre Fahrzeuge im öffentlichen Raum abstellen, obwohl sie eigene Stellplätze besitzen.

St. Pölten Konkret: Was kann dagegen unternommen werden?
Kanonier: An dieser Stelle möchten wir gerne daran erinnern, dass der öffentliche Raum nicht in erster Linie dazu gedacht war (und ist) um dort Fahrzeuge abzustellen. Zusätzliche Maßnahmen – z.B. Parkraumbewirtschaftung zur Herstellung einer Kostenwahrheit – können dazu dienen diese Effekte zu vermindern.

Derzeit sieht die Stellplatzverordnung in der Landeshauptstadt St. Pölten vor, dass im gesamten Stadtgebiet 1,5 Parkplätze pro Wohneinheit bei größeren Wohnbauprojekten errichtet werden müssen. Zudem müssen ab 40 Wohneinheiten pro Projekt die Stellplätze zwingend in Tief- oder Hochgaragen hergestellt werden. Dies ist sowohl kosten- als auch platzintensiv und stellt mittlerweile im verdichteten Innenstadtbereich von St. Pölten eine Herausforderung für Projektentwickler dar.

Die Abteilung für Stadtplanung im Magistrat St. Pölten hat an der Technischen Universität Wien einen Studie in Auftrag gegeben, mit der die derzeit geltende Stellplatzverordnung – insbesondere für den Bereich Wohnen – überprüft werden soll. Die Ergebnisse der Studie liegen nun vor und sind nicht nur für niederösterreichische Städte von Interesse. Professor Dr. Arthur Kanonier und DDI Kurt Weninger, Experten für Raumplanung an der TU Wien, gaben darin Empfehlungen für die Überarbeitung der Stellplatzverordnungen niederösterreichischer Kommunen .
St. Pölten Konkret-Chefredakteur Martin Koutny führte mit den Autoren ein Interview über ihre Studie:

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